Übersicht
Das Schleifen und Polieren von Glas ist ein zentraler Bearbeitungsschritt zur Herstellung hochwertiger Kanten und Flächen. Er dient sowohl der optischen Veredelung als auch der Verbesserung der funktionalen Eigenschaften wie Bruchfestigkeit und Kantenstabilität. Die Verfahren reichen vom einfachen Kantenschliff bis zur hochpräzisen CNC-Bearbeitung mit Hochglanzpolitur. Zum Einsatz kommen unterschiedliche Maschinen, Werkzeuge und Poliermittel – abgestimmt auf das Glasprodukt und den Anwendungszweck.
Bearbeitungsverfahren
Topfscheibenbearbeitung
Die Topfscheibenbearbeitung ist das klassische Verfahren für lineare Kanten und wird auf kantengeführten Schleifautomaten durchgeführt. Die Topfscheibe greift frontal auf die Glaskante zu. Der Bearbeitungsprozess erfolgt in mehreren Stufen:
- Grobschliff mit diamantbesetzten Topfscheiben
- Mittelschliff mit feineren Körnungen
- Feinschliff mit kunstharzgebundenen Bakelit-Scheiben
- Vorpolitur mit Scheiben aus Kunstharz, Gummi und Schleifkörnern
- End-Politur mit Industriehartfilz und Poliermittel (z. B. Xerium)
Diese Methode ist wirtschaftlich effizient und bestens geeignet für Serienproduktionen.
Es gibt zwei Varianten:
- Einseitige Topfscheibenanlagen: Bis zu 16 Schleifspindeln bearbeiten nacheinander alle vier Glaskanten. Jede Kante wird separat geschliffen und – falls gewünscht – poliert. Diese Anlagen sind flexibel und effizient für unterschiedlichste Formate und Formen mit geraden Kanten.
- Beidseitige Topfscheibenanlagen: Hier werden jeweils zwei gegenüberliegende Glaskanten gleichzeitig und planparallel bearbeitet. Dies ermöglicht eine noch höhere Maßhaltigkeit und Produktionsgeschwindigkeit – ideal für große Serien mit hohen Qualitätsanforderungen.
Umfangscheibenbearbeitung (CNC)
Bei der CNC-gesteuerten Umfangbearbeitung arbeiten rotierende Umfangscheiben tangential zur Glaskante. Die Maschinen ermöglichen freie Formen, komplexe Konturen, Ausschnitte und variable Kantenprofile. Die CNC-Technik erlaubt eine fein abgestimmte Prozessführung:
- Flexible Werkzeugbahnen für hohe Formtreue
- Mehrstufige Schleif- und Polierprogramme
- Automatischer Werkzeugwechsel
Das Verfahren eignet sich für architektonisches Glas, Glasdesign, Laborglas oder technische Spezialanwendungen.
Maschinen und Prozessführung
- Kantenautomaten (Topfscheiben): Linear geführte Maschinen mit festem Maschinenbett, ideal für parallele Kantenbearbeitung
- CNC-Bearbeitungszentren (Umfangscheiben): 3- bis 5-Achs-Anlagen mit automatischer Glaspositionierung und Programmsteuerung
- Kombinationsanlagen: Integrieren Schleifen, Bohren, Fräsen, Waschen und Polieren in einer Produktionslinie
Kühlung ist bei allen Verfahren essenziell (Wasserkühlung mit Zusatzstoffen), um Überhitzung, Glasbruch und Werkzeugverschleiß zu vermeiden.
Werkzeuge und Bindungssysteme
Topfscheibenbearbeitung
In automatisierten Schleif- und Polieranlagen werden die vertikalen Glaskanten mit rotierenden Topfscheiben bearbeitet. Dabei kommen typischerweise folgende Werkzeuge zum Einsatz:
- Diamant-Topfscheiben im Grobschliff – meist kunstharzgebunden – für hohe Abtragsleistung bei guter Formstabilität
- Bekelidscheiben (kunststoffgebundene Feinschleifscheiben auf Phenolharzbasis) sorgen für ein ruhiges, feines Schleifbild und bereiten die Kante optimal für die Politur vor
- Polierscheiben aus Filz oder PU (z. B. Pressfilz oder Polyurethan) kommen im letzten Schritt zum Einsatz – oft zusammen mit Xerium-basierten Poliermitteln auf Ceroxid-Basis
Die Anzahl der Schleifspindeln variiert. Die Werkzeugauswahl erfolgt abhängig vom gewünschten Kantenfinish.
Umfangscheibenbearbeitung (CNC)
Bei der CNC-Bearbeitung rotieren Umfangschleifscheiben entlang komplexer Glasgeometrien. Hier kommen besonders präzise Werkzeuge in unterschiedlichen Durchmessern zum Einsatz:
- Galvanisch gebundene Diamantscheiben sind ideal für hohe Formgenauigkeit und scharfe Konturen. Sie besitzen eine definierte Schleifkorngröße, eignen sich jedoch nur für begrenzte Standzeiten.
- Gesinterte Diamantwerkzeuge bieten eine deutlich längere Lebensdauer. Sie bestehen aus mehreren Schichten und sind besonders geeignet für Serienbearbeitung mit gleichbleibender Qualität.
- Tonscheiben bzw. keramisch gebundene Polierscheiben ermöglichen eine Kantenpolitur auf CNC-Anlagen. Die Kanten glänzen, sind aber in der Regel nicht glasklar und weisen noch leichte, wenn auch glänzende Riefen der Schleifwerkzeuge auf.
In der CNC-Bearbeitung ist die Wahl der Bindung entscheidend für Lebensdauer, Kühlmittelverhalten und Abtragsleistung. Die Kombination aus Werkzeugtyp, Schleifstrategie und Maschinensteuerung entscheidet letztlich über die Kantenqualität und Taktzeit.
Bearbeitungsqualität & Kantenarten
Je nach Polierstrategie sind verschiedene Kantenqualitäten realisierbar:
- C-Kante: leicht abgerundete Kante, funktional und splitterfrei
- Flachkante (F-Kante): gerade, geschliffen und poliert – dekorativ und präzise
- OG-Kante: offene, polierte Gehrungskante
- Facettenschliff: angeschrägte, hochglanzpolierte Kante, vor allem bei Spiegeln
Toleranzen
- Maßtoleranz geschliffener Kanten: ± 0,2 mm (bei hoher Qualität bis ± 0,1 mm möglich)
- Winkelabweichung: ≤ 0,3 mm auf 1.000 mm Kantenlänge
- Polierqualität: visuell und haptisch beurteilbar (Kratzerfreiheit, Glanz, Schlieren)
Prüfmethoden
- Visuelle Inspektion: Oberflächen- und Kantenkontrolle unter Licht
- Tastprüfung: Glätte und Kantenfeinheit mit Finger oder Taster
- Maßkontrolle: digitaler Messschieber, Koordinatenmesssystem
- Kantenbruchprüfung: bei sicherheitsrelevantem Glas (z. B. ESG)
- Reflexionsprüfung: zur Beurteilung der Poliergüte bei Sichtkanten
Entwicklung
Die Entwicklung der Glasbearbeitung schreitet mit automatisierten Fertigungszellen, CNC-Technik und intelligenten Kühlsystemen stetig voran. Neue Werkzeuggeometrien, hochpräzise Werkzeugwechsler und adaptive Vorschübe sorgen für höchste Reproduzierbarkeit – auch bei Designgläsern oder Funktionalglas.
Zukunftsaussicht
Die Zukunft liegt in der kombinierten Präzision und Effizienz:
- KI-gestützte Prozesssteuerung
- Selbstüberwachende Werkzeuge mit Verschleißsensorik
- Poliermittel auf Nanobasis für ultrapräzise Anwendungen
- Nachhaltigere Prozesse, z. B. durch geschlossenes Wasserkühlsystem mit Filterrückführung
Mit wachsendem Bedarf an Dünnglas, Funktionsbeschichtungen und individuellen Designlösungen steigen auch die Anforderungen an die Kantenbearbeitung – sowohl technisch als auch ästhetisch.